Ambulanter Palliativdienst für Kinder und Jugendliche in Bremen

Ida – unser schönster Frühling

*08.03.2018 +23.06.2018

Ida frisch geboren Es schnarcht aus dem Bettchen auf der Frühgeborenenstation. Da war sie, unser ganzer Stolz: Ida – ein kleiner Rotschopf. Namensgleich der Schwester von Michel aus Lönneberga malten wir uns aus, wie sie ihrem Ruf alle Ehre machen und uns als Eltern zukünftig auf Trab halten würde. Doch es waren nicht ihre Streiche, die uns schlaflose Nächte bereiten würden.

Die Diagnose Trisomie 13 und damit einhergehend der Stempel „lebenslimitierende und unheilbare“ Erbgutveränderung traf uns nach der Geburt wie ein Schlag ins Gesicht und doch konnten wir zu dem Zeitpunkt die Konsequenzen noch gar nicht überblicken. Außer einer Gaumenspalte und der Magensonde waren bis zu dem Zeitpunkt (für uns) keine weiteren Baustellen erkennbar. Den Umgang mit der Trinkplatte für die Gaumenspalte lernten wir noch im Krankenhaus und auch die Ernährung durch die Magensonde nahmen wir schnell als gegeben an. Und so stieß zunächst die Kontaktaufnahme von Seiten des Spezialisierten Ambulanten Palliativdienstes (SAPV) und der damit einhergehende Vorschlag der „Betreuung zu Hause“ auf fragende Gesichter unsererseits. Eine naive Kurzsicht erweckte zunächst in uns die Vorstellung, dass die Palliativschwestern lediglich für den Wechsel der Magensonde und die Ärztinnen im Notfall hinzuzuziehen seien.

Ida in den ersten Wochen In den ersten Wochen, während der Kennenlernbesuche, erhielten wir eine Intensiveinführung über das Leben mit einem schwerstbehinderten Kind: Rechte und Pflichten der Pflegeversicherung, Pflege unserer Tochter, Aufklärung über Hilfsangebote, etc. Ab einem Alter von etwa fünf Wochen zeichnete sich langsam ab, in welche Richtung die Reise mit unserer Tochter gehen würde: fast täglich traten mehrmals Situationen ein, in denen sie unvorhersehbar nicht mehr atmete, blau anlief und erst nach bis zu zehn Minuten wieder merklich Luft bekam. Mit dem SAPV machten wir uns auf die Suche nach der Ursache: handelte es sich um zentrale (fehlerhafte Atemregulation durch das Gehirn) oder obstruktive (aufgrund ihrer Pierre-Robin-Sequenz verengte Atemwege) Apnoen oder gar Krampfanfälle? Welches Medikament half unserer Tochter in diesen Situationen den Anfall zu unterbrechen oder ihr die Angst zu nehmen? Das Detektivspiel weitete sich aus auf die Suche nach einer verträglichen Sondennahrung für Ida, da sich Verdauungsprobleme als Auslöser der Anfälle herauskristallisierten. Die regelmäßigen Besuche der Palliativschwestern stellten sich in dieser Zeit als notwendige und wertvolle Unterstützung heraus. Die Betreuung war ein ganzheitlicher Ansatz: Der Blick auf unser persönliches Wohlbefinden als Eltern und als Paar war ebenso wichtig wie die Gesundheit unserer Tochter.

Mit Ida am Meer Konkrete Aussagen über die Lebenserwartung unserer Tochter konnte niemand geben. Die Prognosen schwankten zwischen dem Jetzt bis zu einigen Monaten, in Ausnahmefällen bis zu einem Jahr. Die Zeit war begrenzt und im Umkehrschluss jeder Moment umso wertvoller. Verzweifeln wollten wir nicht, sondern dieses kurze Leben mit vielen schönen Erinnerungen füllen. Auch wenn Ida nicht sehen konnte, so sollte sie doch einmal das Meer erfahren haben. Wir fuhren mit ihr nach Rügen, sie spürte Sand zwischen ihren Zehen, roch die salzige Seeluft und wir erzählten ihr Geschichten von der Natur, dem Meer und der Welt und von dem Land, aus dem ihr Vater kommt: Brasilien.

Gemeinsam mit dem SAPV feilten wir zwischenzeitlich an unserem Wunsch, die Familie dort zu besuchen. Obwohl sich Idas Zustand rasch verschlechterte und somit das Unterfangen mehr als gewagt sein würde, folgte der SAPV treu unserem Kurs. Er war die Brise in unseren Segeln; Ida am Steuer. Um uns herum spannte sich ein enges Netz zwischen den Kardiologinnen, unserer Kinderärztin und dem SAPV, die sich im Hintergrund austauschten und nach der bestmöglichen Unterstützung für Ida suchten.

Bald mussten wir uns schmerzlich eingestehen, dass der Kurs korrigiert werden muss. Das Heimatland von Idas Vater erschien vor dem Hintergrund ihrer vermehrten Anfälle zunehmend unerreichbar. Der SAPV stand auch bei dieser Entscheidung hinter uns und half vor allem mit der Bürokratie. Wir steuerten dann schnell auf das Kinderhospiz Löwenherz zu- persönliche Erfahrungen der Palliativschwestern sowie ein Tag der offenen Tür ließen Hoffnung erwecken: Entlastung, Ruhe, professionelle Pflege, Gespräche, die Auseinandersetzung mit dem unumgänglichen Thema Tod.

Unsere Tochter am Tag vor ihrem Tod Und dann, zwei Tage nach Ankunft im Löwenherz gab Ida das Steuer aus der Hand, ganz friedlich und überzeugt, dass dies der richtige Ort und die richtige Zeit sei, ihre Eltern ohne sie weiterziehen zu lassen. Sie schenkte uns vorher zwei wundervoll intensive Tage ohne Anfälle, sie lächelte, interagierte, wir waren draußen und im Schwimmbad und vollends zufrieden in diesem geschützten Raum. Sie erfüllte uns zum Schluss unseren großen Wunsch: Bei ihrer Geburt, einem Notkaiserschnitt, konnten wir unsere Tochter nicht auf ihrem Weg in die Welt begleiten aber wir waren bei ihr, als sie diese wieder verließ.

Was wir als Eltern jetzt, nach dem Tod unserer Tochter mit Idas Geschichte erzählen möchten, ist die Bedeutung jedes schönen Moments. Sie wurde dreieinhalb Monate alt und ihr Fotoalbum platzt aus allen Nähten, sodass wir extra Seiten eingeklebt haben. Es sind die Erinnerungen, die uns jetzt helfen; die ihre und unsere Geschichte Realität sein lässt. Und auch in Jahrzehnten, wenn die Welt sich stetig weiterdreht, werden unsere Erinnerungen nicht verblassen. Erinnerungen, die durch den SAPV, die ständige Brise, die unser Boot in Bewegung hielt, erst möglich gemacht wurden.

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